Ein Dorf zieht blank - Kinostart: 16.08.2018

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Der Trailer und die Werbekampagne wollen uns diesen Film als ...
 
... knackige Komödie über eine ungewöhnliche Protestaktion im ländlichen Frankreich verkaufen. Aber dieser Film erzählt mehr als bloß eine Geschichte. Und nicht alle diese Geschichten sind nur witzig.
 
Frankreichs Bauern geht es schlecht
 
Die Landwirte von La Mele sur Sarthe, einer kleinen Gemeinde in der Normandie, sind verzweifelt. Weil Fleisch immer billiger werden muss, können sie kaum noch vom Ertrag ihrer Höfe leben. Mit einer Blockade der Landstraße wollen sie auf ihre Notlage aufmerksam machen. Aber die Aktion bringt bloß eine kurze Erwähnung in den Lokalnachrichten. Der engagierte Bürgermeister Balbuzard ist bereit alles für seine Bürger zu tun. Da kommt zufällig der verschrobene amerikanische Fotokünstler Blake Newman (Toby Jones) durch das Dorf. Der ist weltbekannt für seine Bilder von Gruppen nackter Menschen, die er an den verschiedensten Orten der Welt aufnimmt. Als Newman ein Bild mit den nackten Landbewohnern auf einem Feld im Ort plant, wittert der Bürgermeister eine einmalige Gelegenheit …
 
Wer eine Komödie über Landbewohner erwartet, die mit sich hadern, ob sie sich nackt ausziehen sollen, wird auch das von „Ein Dorf zieht blank“ bekommen. Aber Regisseur Philippe Le Guay („Nur für Personal“) bietet mit seinem neuen Film mehr. Noch viel mehr. Und dieses „mehr“ ist es, was diesen Film von anderen Regionalkomödien unterscheidet.
 
„Die Kunst ist wichtiger als die Natur“
 
Ein Dorf besteht aus vielen verschiedenen Menschen. Und daher ist es nur logisch, wenn wir in einem Film über ein Dorf viele verschiedene Geschichten erzählt bekommen. Eine Geschichte über einen Streit um ein Feld, der bereits Generationen andauert, ist ein bisschen vorhersehbar, aber trotzdem nett erzählt. Die Geschichte einer ehemaligen Schönheitskönigin und ihres Ehemannes erzählt von männlicher Unsicherheit und weiblicher Schönheit, die sich mit dem Alter beide zwar verändern aber doch nicht verfliegen. Die Geschichte um einen Lokalpolitiker, der sein Schicksal von dem seines Dorfes abhängig macht, ist berührend. Eine Liebesgeschichte um eine junge Frau und einen Mann, der nur in sein Heimatdorf zurückkommt um das Haus seines Vaters zu verkaufen, wird vielleicht ein bisschen zu schnell erzählt. Und die Geschichte um einen Städter der wild entschlossen ist, das Landleben zu lieben, ist traurig und witzig zugleich. All das ist eingebettet in die größere Geschichte der Landwirte, die in einer veränderten Welt nicht mehr wirtschaften können wie ihre Väter und Großväter das getan haben.
 
Diese Geschichten werden in Bildern gezeigt, die auf unspektakuläre Weise schön sind. Damit entsprechen sie gang wunderbar der Landschaft der Normandie. Als Drama und Komödie enthält der Film natürlich viel Dialog, der auch zum großen Teil gut geschrieben ist. Aber die wichtigsten Botschaften vermittelt der Film dann doch über seine Bilder. Wenn die Bewohner ihre Beteiligung an der Fotoaktion zeigen, wird das visuell dargestellt und nicht im Dialog erklärt. Wenn die Landbewohner sich für eine Hochzeit fein machen, zeigen uns Kostüme und Ausstattung, wie es um die wirtschaftlichen Verhältnisse der Feiernden bestellt ist. Eine Szene um eine Pfändung kommt fast komplett ohne Dialog aus und wirkt dadurch nur umso stärker.
 
 
600 Einwohner, eine Hauptstraße, eine Kirche
 
François Cluzet kennen wir aus „Ziemlich beste Freunde“. Er spielt den Bürgermeister als feschen, junggebliebenen Mann, der immer ein Lächeln für seine Mitmenschen hat. Wo andere Schauspieler die Krise der Figur durch intensiveres Spiel vermittelt - also noch etwas draufgepackt hätten, lässt Cluzet gegen Ende des Films einfach etwas weg. Wenn dann im dritten Akt das Lächeln seiner Figur plötzlich völlig fehlt, zeigt er uns damit ohne große Geste, was in seiner Figur vorgeht.
 
Toby Jones spielt was er am besten kann, einen kleinen Sonderling. Der Mann hat immerhin mal Truman Capote dargestellt. Viel sonderbarer geht es nicht mehr.
 
Die verschiedenen, weitgehend recht unbekannten französischen Darsteller, zeigen in den Rollen der Dorfbewohner fast durchwegs solide Leistungen. Den Filmemachern ist es gelungen, ein Ensemble zu versammeln, das tatsächlich den Eindruck einer buntgemischten Dorfgemeinschaft erweckt. Ein bigotter Apotheker ist ebenso Teil der Landbevölkerung, wie eine vorlaute Braut. Wenn ein älterer Bauer ein kleines Lied zum Besten gibt, wirkt das ebenso authentisch wie berührend.
 
Besonders hervorzuheben sind die Darstellungen von Lucie Muratet, als Frau des Metzgers, und Daphne Dumons, als selbstbewusste, junge Frau mit großem Herzen.
 
 
Fazit
 
„Ein Dorf zieht blank“ ist keine Schenkelklopfer-Komödie über nackte Landwirte. Der kleine, feine Film erzählt auf berührende Weise eine Geschichte über eine Gesellschaft im Wandel und darüber, wie die Menschen mit diesem Wandel umgehen.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Philippe Le Guay
  • Drehbuch: Philippe Le Guay
  • Besetzung: Julie‑Anne Roth, François Cluzet