Immer noch Jung

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Immer noch jung ist ein dokumentarischer Einblick in die schnelllebigen Mechanismen ...
 
... unserer Musikindustrie. Die Killerpilze haben sich selbst gefilmt auf ihrem Weg durch den dichten Dschungel des Showbusiness.
 
Die verzweifelte Suche nach Authentizität
 
Am Anfang steht eine sehr junge Band, die trotz, oder gerade wegen ihrer behütenden Verhältnisse mit den rebellischen Ideen des Punkrock spielt. Da diese Jugendlichen aber nicht mehr in den siebziger Jahren leben, sondern in den frühen 2000ern, werden sie ziemlich schnell von den Mainstream-Medien gefunden, bevor sie überhaupt Zeit hatten sich selbst zu finden. Das ist die grobe Prämisse, der dieser Dokumentarfilm folgt. Dabei kommen Weggefährten, ehemalige Bandmitglieder, Manager und Leute aus dem Showbusiness zu Wort. Aber vor allem spricht die Band selbst über sich, für sich und gegen sich.
 
Es beginnt also damit, dass blutjunge Kinder zum Beginn ihrer Pubertät im beschaulichen Dillingen eine Band gründen, wie so viele vor und nach ihnen. Als dann aber ziemlich schnell ein Major-Label auf sie aufmerksam wird, beginnt zunächst eine steile Karriere mit einem höchst erfolgreichen Debütalbum, Goldenen Schallplatten, einer Europatournee und großem Medienecho. Die jungen Musiker taumeln irgendwo zwischen kindlicher Glückseligkeit und Fassungslosigkeit, zwischen begeisterter Naivität und dem Willen zur Professionalität. Auf diesem Katapult Richtung Weltruhm zieht jedoch plötzlich das Schicksal die Reißleine.
 
Genauso schnell wie der Erfolg eingesetzt hat, ist er plötzlich wieder weg. Als nach der langen Tour das zweite Album auf den Markt kommt, sind die Verkaufszahlen enttäuschend und das Majorlabel legt ihnen eine Bandauflösung nahe, mit anschließendem Reboot unter neuem Namen.
 
Die Musiker entscheiden sich für einen anderen Weg und setzen auf eigene Faust ihre Suche fort, nach dem richtigen Sound, den richtigen Themen, dem richtigen Umgang mit dem Business. Mittlerweile sind sie Medienprofis und haben entsprechend nun einen Film über ihren bisherigen Werdegang veröffentlicht. Und die Reise scheint noch lange nicht zu Ende.
 
Das Spiel mit Antagonisten und Protagonisten
 
Jeder Film braucht einen Antagonisten und obwohl dessen Erwähnung sich in diesem Film auf wenige Anspielungen beschränkt, ist doch klar, dass man bei dem Phänomen der Killerpilze auch Tokio Hotel immer mitdenken muss. Es scheint so, dass die einen die anderen erst möglich gemacht hat und vielleicht auch umgekehrt. Es ist jedenfalls dem Marketinggenie von Universal zu verdanken, die komplette Bandbreite jugendlicher Rebellion kapitalistisch abzugreifen indem man beiden Extremen ein junges Gesicht gibt. Auf der einen Seite die melancholische Emo-Wellen-Surfer Tokio Hotel, auf der anderen Seite die lautstarken Kinder-Punk-Möchtegerns Killerpilze.
 
 
Diese halbstarke Attitüde der jungen Band ist zugleich höchst sympathisch und zutiefst traurig. Es ist wirklich bezeichnend, dass bei dem Kennenlernen im Universal Firmensitz in Berlin ausgerechnet Bella B von den Ärzten den Staffelstab des Punkrocks an die neue Generation übergibt. Nichts macht offensichtlicher, dass die Punkbewegung vollkommen vom Mainstream geschluckt wurde und somit die eigenen Ideale eigentlich verraten hat. Doch letztlich ist das der Verlauf aller revolutionärer Bewegungen in der Geschichte der Menschheit, man muss nur damit umgehen lernen. Die Killerpilze haben es nur ausnahmsweise am eigenen Leib erfahren.
 
Gleichzeitig zeigt sich aber auch, wie willensstark eine Band sein kann, deren Gründungsmythos nicht erst im Fernsehen konstruiert werden muss. Die Halbwertszeit sowohl von Tokio-Hotel als auch den Killerpilzen ist um vieles länger als bei vergleichbaren Castingbands, schlicht weil sie sich gefunden haben bevor der Erfolg da war und dementsprechend besser damit umgehen können wenn der Erfolg wieder weg ist. Das macht sie für die Plattenfirmen einerseits womöglich etwas länger vermarktbar, aber andererseits auch schwerer zu kontrollieren. Die ehemaligen Teenager-Fans haben zumindest so die Möglichkeit, in die eigene Jugend zurück zu reisen und ihre Idole von damals nochmal Live auf der Bühne zu sehen, eine Qualität, die in der heutigen, schnelllebigen Zeit fast schon verloren schien.
 
Immer noch jung, immer noch zu vermarkten
 
Erstaunlich ist auf jeden Fall, dass immer mehr Bands die Mechanismen der Castingshows ganz automatisch, wahrscheinlich sogar unbewusst übernehmen und adaptieren. Es scheint allgemein anerkannt, dass die Band polarisieren muss und die Mitglieder verschiedene Stereotype verkörpern sollten, um sich selbst gut zu vermarkten. Von dieser kapitalistischen Wahrheit können sich auch die Killerpilze nicht ganz freimachen und haben auf ihrem Weg seit dem frühen Ruhm auch den eigenen Idealismus teilweise der pragmatischen Professionalität geopfert. Die neuen Lieder sind so routiniert dem heutigen Massengeschmack angepasst, mit elektrischen Drumsounds, Hipster-Bärten und Neon-Romantik.
 
Die Trennung von dem ehemaligen Bandmitglied Andreas „Schlagi“ Schlagenhaft bleibt in der Dokumentation eher eine Randnotiz, obwohl sie eigentlich genau den Kern der Problematik trifft. Wie viel Authentizität und Rebellion ist man bereit für den Ruhm aufzugeben und wo liegen die moralischen Grenzen des eigenen Ausverkaufs? Einer bewusst getroffenen Entscheidung in beide Richtungen ist aber grundsätzlich nichts entgegenzusetzen, schließlich gibt es auch diesseits kapitalistischer Grenzen noch etliche Träume zu verwirklichen. Und das Olympiastadion ist im gewissen Sinne ja auch ein höchst idealistisches Ziel. Ob der Name dabei nun Fluch oder Segen ist, bleibt dahin gestellt, jedenfalls bleibt er im Ohr, wie Klaas Heufer-Umlauf so treffend sagt.
 
 
Fazit
 
Spannende Dokumentation ganz dicht an den jungen Protagonisten dran, mit intimen und ehrlichen Einblicken in das grausame Showbusiness. Für ehemalige und zukünftige Fans, sowie eine aufschlussreiche Lehrstunde für junge Bands.
 
 
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  • Regie: David Schlichter, Fabian Halbig
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