Kurt Tucholsky schrieb vor fast 100 Jahren, „Es lastet auf dieser Zeit der Fluch der Mittelmäßigkeit“.
Nur wenige Filme können diesen Fluch brechen …
Here comes Santa Claus, …
Santa Claus wird entführt. Ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, hat der von Chris Evans gespielte Hacker und Gauner Jack O’Malley dabei geholfen. Daher muss Jack nun Santas von Dwayne Johnson dargestellten Sicherheitschef dabei helfen, den Weihnachtsmann aus der Hand seiner Entführer zu befreien und, … naja, … Weihnachten zu retten.
Zum einen, weil „Red One“, der neue Film von Jack Kasdan leider ebenso uninteressant wie unergiebig ist, zum anderen, weil es eines der wichtigsten Gedichte der deutschen Literaturgeschichte und immer noch aktuell ist, gebe ich hier erstmal einen Auszug aus Kurt Tucholskys „An das Publikum“ wieder:
„O hochverehrtes Publikum,
sag mal: bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo spricht:
«Das Publikum will es so!»
Jeder Filmfritze sagt: «Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!»
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
«Gute Bücher gehen eben nicht!»
Sag mal, verehrtes Publikum:
Bist du wirklich so dumm?“
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Knapp hundert Jahre nach Tucholsky muss auch ich fragen, wollen wir, das Publikum wirklich nur Mittelmäßiges und Weichgespültes? Schwerfällig und doch leicht verdaulich? Die verschiedenen beteiligten Studios und Produktionsgesellschaften (u.a. amazon, Warner Brothers und MGM) müssen das wohl annehmen. Immerhin haben sie 250 Millionen Dollar für einen Film von ausgegeben, der so durch und durch mittelmäßig ausgefallen ist, dass das Ergebnis ja wohl kein Zufall sein kann.
250 Millionen Dollar und insgesamt mehr als zwei Jahre Produktionszeit. Naja, für einen großen Teil beider Posten ist Dwayne Johnson verantwortlich. Denn der hat nicht nur 50 der 250 Millionen Dollar als Gage eingestrichen. Wenn man den Berichten glauben darf, dann geht auch der größte Teil des überzogenen Drehplans auf das Konto von „The Rock“, der an den meisten Tagen entweder Stunden zu spät oder aber gar nicht zur Arbeit erschienen ist und sich während der gesamten Dreharbeiten aufgeführt haben soll wie Graf Koks von der Gasanstalt.
Mit 250 Millionen Dollar hätte man Großes aber auch Großartiges schaffen können. Greta Gerwig hat mit der Hälfte dieses Budgets in weniger als der Hälfte der Zeit mit „Barbie“ einen unterhaltsamen Film geschaffen, der ganz nebenbei einige der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit behandelt. Ich kann einen noch besseren Vergleich anbieten. Andrew Haigh hat mit gerade mal 2% (in Worten: zwei Prozent) des Budgets von „Red One“ sein Meisterwerk „All of Us Strangers“ geschaffen. Haigh brauchte gerade mal 5 Millionen Dollar, um uns den Zauber aller Arten von Liebe zu vermitteln.
Ich weiß, dass ich bisher mehr als vierhundert Wörter geschrieben habe und noch kaum etwas über „Red One“ berichtet habe. Zu meiner Verteidigung kann ich zweierlei vorbringen: Erstens: dreiundsiebzig dieser Wörter stammen von Kurt Tuckolsky und haben ewige Gültigkeit. Und über „Red One“ gibt es einfach nicht besonders viel zu berichten.
Nichts an dem Film ist furchtbar schlecht. Es ist aber auch nichts an dem Film wirklich gut. Die computergenerierten Effekte sind weder schlecht noch gut ausgefallen. Nach 250 Millionen Dollar sehen sie aber nicht aus. Die Action wirkt ebenso beliebig wie vertraut. Viel Gewusel im Halbdunkel. Abgesehen von den Helden stellen sich alle Kämpfer stets recht doof an. In einer Szene schalten sich jede Menge Profis gegenseitig aus und bekommen den Helden doch nicht zu fassen. Das Übliche eben.
Die Story ist dämlich, aber auch nicht viel dämlicher als die der meisten Weihnachts-Blockbuster der letzten Jahrzehnte. Echte Ideen sind kaum erkennbar und wenn doch, ergeben sie wenig Sinn. Die Rentiere sind so groß wie Mammuts. Ein Dialog über einen Helfer Santas, der sich mit Schleifen beschäftigt, führt nirgendwohin. Santas Bruder spricht mit Akzent, obwohl Santa das nicht tut. Santas Haus sieht aus wie ein Gemeinschaftsprojekt der Architekten von Hogwarts, Asgard und dem Stark Tower. Die Ideen von Regie und Drehbuch sind entweder schwach oder alt und unterstreichen so nur die allgemeine Mittelmäßigkeit des Films.
In einer Szene, die in Deutschland spielt, ist „Winter Wunderland“, die deutsche Fassung des Weihnachtsklassikers „Winter Wonderland“ zu hören. Man spielt aber nicht die Version von Peter Alexander, sondern die von Roland Kaiser. Mittelmäßiger geht es kaum. Zum Finale muss Chris Evans wieder mal ein startendes Fluggerät auf einer vereisten Startbahn einholen. Das muss dem „First Avenger“ doch auch bekannt vorgekommen sein.
Winter Wunderland
Selbst die Besetzung ist mittelmäßig. Mit Chris Evans (unser aller Lieblings-Avenger) und J. K. Simmons („Spider-Man“, „Whiplash“) liefern zwei sehr gute Darsteller gerade mal passable Leistungen ab. Bonnie Hunt (aus dem Original-„Jumanji“) war seit vielen Jahren nicht mehr im Kino zu sehen. Warum sie ausgerechnet für eine bessere Statistenrolle in einem mittelmäßigen Blockbuster wieder vor die Kamera zurückgekehrt ist, muss sie selbst wissen.
Lucy Liu („3 Engel für Charlie“, „Kill Bill“) war um die Jahrtausendwende mal ein paar Jahre lang berühmt. Warum ließ sich damals und lässt sich auch heute nur schwer sagen. Sie spielt ihre mittelmäßige Rolle in diesem mittelmäßigen Film mit dem ganzen Talent, dem Witz und der Ausstrahlung, die auch jedes andere weibliche Mitglied der Schauspielergewerkschaft mitgebracht hätte. Die junge Kiernan Shipka („The Silence“) spielt die generische Rolle der generischen bösen Hexe wenig überraschend recht generisch.
Mittelmäßigkeit kann nie einen Gipfel oder einen Höhepunkt aufweisen. Falls das aber möglich wäre, wäre der Gipfel der allgemeinen Mittelmäßigkeit von „Red One“ aber Dwayne Johnsons Leistung. „The Rock“ hat es mit seinem Charisma geschafft, so dümmliche Filme wie „Rampage“ oder „Skyscraper“ aufzuwerten und vor der Mittelmäßigkeit zu retten. Aber schon bei „Jungle Cruise“ wollte ihm das nicht mehr recht gelingen, bevor in „Black Adam“ dann von besagtem Charisma kaum noch etwas zu sehen war. In „Red One“ sehen wir einen mittelmäßigen Schauspieler, der seinen Job nicht schlecht aber doch gerade noch so gut macht, dass man ihn nicht wegen Vertragsbruchs oder Arbeitsverweigerung verklagen kann.
All das war den Entscheidungsträgern in einigen wichtigen Hollywoodstudios 250 Millionen wert. Offensichtlich meinen diese Herrschaften, wir das Publikum, könnten es alle zusammen kaum erwarten, nun Tickets im Gegenwert einer noch größeren Summe zu kaufen, um uns durch zwei Stunden Mittelmäßigkeit zu quälen. Falls dem tatsächlich so sein sollte, hier noch ein paar Zeilen zur Mahnung:
„Sag mal, verehrtes Publikum: bist du wirklich so dumm?
Ja, dann . . . Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmäßigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist also nur ein Grießbrei-Fresser –?
Ja, dann . . . Ja, dann verdienst du es nicht besser.“
Fazit
Wer Geld ausgibt um Mittelmäßiges im Kino zu sehen, hat es wirklich nicht besser verdient.
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