Kandahar - Kinostart: 17.08.2023

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Nach dem misslungenen “Angel Has Fallen” und dem durchwachsenen “Greenland“ ...
 
... haben Gerard Butler und Regisseur Ric Roman Waugh nun zum dritten Mal zusammengearbeitet. Sind aller guten Dinge wirklich drei?
 
Willkommen im neuen Afghanistan
 
Der große Roger Ebert hat den Begriff des „idiot plot“, auf Deutsch ungefähr „Idioten-Handlung“, geprägt. Ein „idiot plot“ ist eine (Film-)Handlung, die Probleme enthält, die sofort gelöst wären, wenn nicht alle Protagonisten Idioten wären. Zu behaupten, die Handlung von „Kandahar“ wäre ein Beispiel für einen „idiot plot“, wäre ein bisschen so, als würde man behaupten, in Filmen mit Dolly Buster könnten gelegentliche Nacktszenen zu sehen sein.
 
Die Handlung von „Kandahar“ spielt in einem „idiot universe“. Der von Gerard Butler gespielte Held ist ein Spezialist für Undercover-Einsätze in feindlichen Gebieten. Daher benimmt er sich bereits in der allerersten Szene des Films so idiotisch, dass ihn die iranischen Sicherheitskräfte bereits in dieser ersten Szene sofort enttarnt hätten, … wenn sie eben nicht alle Idioten wären.
 
Jede handelnde Person in diesem Film ist ein kompletter Vollidiot. Von der Journalistin, die in einem Überwachungsstatt wie dem Iran unverschlüsselt übers Telefon mit ihrem Herausgeber über Sabotage in einer Nuklearanlage der Regierung spricht, über die vielen Bösewichte, die ihre Schergen immer nur zu zweit hinter dem Helden herschicken, dem Hubschrauberpiloten der so tief fliegt, dass man ihn mit einer Handgranate abschießen kann, bis zum Helden, der versucht unauffällig aus einer Stadt zu verschwinden, dabei den einzigen Stau dieser Stadt findet und dort im völlig stillstehenden Verkehr einen Auffahrunfall verursacht.
 
Die Haupthandlung dieses Films beschreibt die Flucht des enttarnten Helden aus Herat in Afghanistan. Der Fluchtplan, den seine Auftraggeber für ihn organisiert haben, sieht vor, dass er in 30 Stunden ein Flugfeld in Kandahar erreichen muss. Diese beiden Orte liegen fast 600 Kilometer voneinander entfernt, an entgegengesetzten Ecken des für den Helden feindlichen Landes. Diese Entfernung wird im Film sogar mehrfach angegeben. Nicht erwähnt wird, dass der Ausgangspunkt Herat bloß 100 Kilometer von der Grenze zu Turkmenistan entfernt liegt.
 
Das ist so als müsste jemand umgehend aus Oberbayern ausgeflogen werden und man würde ihm erklären, die einzige Möglichkeit für ihn wäre, ein Flugzeug zu erwischen, dass recht bald im Ruhrgebiet starten wird. Nein, in ganz Bayern gibt es keine Stelle wo ein Flugzeug landen und starten könnte. Nein, auch nicht in Hessen oder Baden-Württemberg. Und nein, Oberbayern grenzt nicht an ein Land namens Österreich. Mach Dich schon mal auf die Socken. Der Weg in den Pott ist weit.
 
Aber im Universum von Erstlings-Drehbuchautor Mitchell LaFortune agiert man nicht nur idiotisch. Man spricht auch entsprechend. Ich weiß, nur wenige Actionfilme bestechen durch ihre raffinierten Handlungen oder intelligenten Dialoge. Aber in diesem Film hört man Zeilen, die den „blaues-Licht“-Wortwechsel aus „Rambo III“ ebenso tiefsinnig wie geistreich wirken lassen. Kostproben gefällig?
 
Ein Herausgeber zur Reporterin: „Fantastisch! Du entlarvst ihre Heuchelei!“
 
Ein pakistanischer Geheimagent droht den Taliban: „Dann kommen die Amerikaner wieder und bomben Euch den Arsch weg.“
 
Eine politische Gefangene zu dem iranischen Polizisten, der sie verhört: „Aber ich sollte doch nach Hause geschickt werden.“ Antwort des Polizisten: „Das wirst Du. Als Märtyrerin.“
 
Der (natürlich) geschiedene Held und abwesende Vater spricht mit einem Einheimischen über das Ende seiner Ehe: „Ich spreche hier mit einem Kerl, den ich kaum kenne. Und trotzdem fällt es mir leichter, das mit Dir zu tun als mit meiner Familie.“
 
 
„Kandahar“ ist die Art von Film, in dem Afghanen anderen Afghanen schonmal die politische und soziale Lage in Afghanistan erklären. Und natürlich hören wir jede Menge Klischees wie, „Du hast mein Leben in der Hand.“„Wenn einer da rauskommt, dann Du!“, „Niemand wird uns helfen.“ und meinen absoluten Lieblingssatz des Films: „Man muss nach Hause zurückkehren, um zu wissen, wofür man kämpft.“
 
Ich will nur nach Hause
 
Ich meinte eben, nur wenige Actionfilme würden durch ihre raffinierten Handlungen oder intelligenten Dialoge bestechen. Aber wenn die Handlung bereits idiotisch ist und sich einem von den Dialogen die Zehennägel aufrollen, sollte der Actionfilm doch wenigstens ordentliche Action liefern. Leider enttäuscht „Kandahar“ auch hier. Eine erste Explosion sieht interessant aus, mehr nicht. Bis zur nächsten Actionsequenz dauert es dann eine ganze Weile. Diese Verfolgungsjagd zwischen zwei Autos und einem Motorrad verläuft eher unspektakulär und endet mit einer weiteren Explosion.
 
Später wird nachts aus einem Hubschrauber auf ein Auto geschossen. Diese Sequenz endet wieder mit einer Explosion. Eine längere Verfolgungsjagd gegen Ende des Films endet, wenig überraschend, wieder mit einer Explosion. Dazwischen greifen Spezialeinheiten eine Festung der Taliban an, indem sie mit fünf Autos bis auf siebzig Meter an die Mauer der Festung heranfahren, stehenbleiben und schießen. Spannend ist das alles nicht.
 
Die ersten zwei oder drei Actionszenen sind teilweise in Zeitlupe zu sehen. Gewalt in Zeitlupe war ein alter Kunstgriff von Sam Peckinpah und hat vor vierzig oder fünfzig Jahren schon nur manchmal funktioniert. Deshalb wirken auch einzelne Szenen in „Convoy“ heute unfreiwillig komisch. Aber Regisseur Ric Roman Waugh verliert ohnehin bald die Lust an den Zeitlupenaufnahmen und so bleibt unklar, warum einzelne Szenen in Zeitlupe zu sehen waren und andere nicht.
 
Die Action in diesem Actionfilm vermag niemanden zu fesseln. Und Hauptdarsteller Gerard Butler ist hier auch keine große Hilfe. Butler war in jungen Jahren ein sympathischer Nebendarsteller in Filmen wie „Die Herrschaft des Feuers“ und „Lieber Frankie“, bevor er das Glück hatte, in Zack Snyders „300“ mitspielen zu dürfen. Butlers Darstellung des Leonidas war eindimensional aber effektiv und passte damit hervorragend zum Rest dieses merkwürdigen Films.
 
Danach hat man Butler in verschiedenen romantischen Komödien eingesetzt („Die nackte Wahrheit“, „Der Kautions-Cop“). Da Butler aber das Charisma des zweiten Türstehers in einem drittklassigen Club verströmt, hat man das bald wieder bleiben lassen. Butler ist seit gut zehn Jahren vor allem in Action- und Abenteuerfilmen zu sehen, von denen nur wenige passabel („Greenland“), einige mittelmäßig („Hunter Killer“) und viele wirklich schlecht waren („Angel Has Fallen“, „Geostorm“).
 
Butler wirkt in diesen Filmen nie annährend so cool, wie es für die jeweiligen Rollen nötig wäre. In „Kandahar“ wird ein weiteres Problem offensichtlich. Butler ist mittlerweile über Fünfzig. Und er ist nicht mehr annähernd so fit, wie während der Schlacht bei den Thermopylen. Aufmerksamen Filmfans wird nicht entgehen, dass in Butlers neuestem Film zwar viel gelaufen, gesprungen, gestürzt und gekämpft wird, aber nur von anderen, niemals vom Hauptdarsteller. Der Held steht, selbst vom Hubschrauber gejagt, meistens statisch herum und schießt ein bisschen. Zuweilen lenkt er auch mal ein Kraftfahrzeug. Das ist Butlers gesamter Beitrag zur Action.
 
Der Rest der Besetzung besteht aus recht unbekannten Nebendarstellern in Chargenrollen. Ich erspare unseren Leser*innen die Aufzählung von Filmen, in denen Tom Rhys Harries, Travis Fimmel oder Navid Negahban auch schon keinen großen Eindruck hinterlassen haben. Ali Fazal („Victoria und Abdul“) spielt einen pakistanischen Agenten, der es satt hat, mit den primitiven Taliban zusammenarbeiten zu müssen. Wäre dieser Film von einem besseren Drehbuchautor geschrieben und einem besseren Regisseur inszeniert worden, hätte Fazal dieser Rolle sicher interessant gestalten können.
 
 
Fazit
 
Nach einem misslungenen und einem durchwachsenen Film haben Gerard Butler und Regisseur Ric Roman Waugh nun einen langweiligen, vorhersehbaren und damit überflüssigen Film abgeliefert.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Ric Roman Waugh
  • Drehbuch: Mitchell LaFortune
  • Besetzung: Gerard Butler, Nina Toussaint-White