Maria Reiche: Das Geheimnis der Nazca-Linien - Kinostart: 25.09.2025

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Im Kino wollen wir Held*innen sehen: Superheld*innen in Blockbustern, ...
 
... toughe Cops in Krimis, wunderschöne und herzensgute Frauen die trotz dieser offensichtlichen Defizite die wahre Liebe finden in Rom-Coms, … Nur selten bekommen wir im Kino die Reise einer echten Heldin gezeigt.
 
Ich will sehen, wohin die Linien führen
 
Peru in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts: die junge Deutsche Maria Reiche unterrichtet an einer Schule in Lima. Ein französischer Archäologe, der die Nazca-Kultur erforscht, beauftragt sie mit der Übersetzung der Notizen seines deutschen Vorgängers. Maria reist nach Nazca und bekommt von dem Archäologen Linien gezeigt, die dieser als vermutliche Prozessionswege und Zeitverschwendung abtut. Maria beginnt sich mit diesen Linien zu beschäftigen. Nur langsam erschließt sich deren Bedeutung. Aber bald muss Maria ihre Entdeckung beschützen …
 
Der Film „Maria Reiche: Das Geheimnis der Nazca-Linien“ beginnt mit einem einfachen und doch starken Bild: wir sehen eine Totale der Wüste und eine Frau, die diese Wüste mit einem einfachen Strohbesen fegt. Dieses Bild hätte leicht lächerlich geraten können. Aber das ist es nicht. Es ist wunderschön geraten. Wunderschön und inspirierend. Dieses Bild ist eine Einladung an den Betrachter. Wer diese Einladung annimmt, wird auf die Heldinnenreise einer ganz besonderen Frau mitgenommen.
 
Ich will hier nicht auf allzu viele Details der These der „Heldenreise“ von Joseph Campbell eingehen. Es reicht zu wissen, nicht nur Filmemacher wie George Lucas und George Miller haben diese krude Mischung aus Populärwissenschaftlichem und Esoterischem vor einigen Jahrzehnten mitsamt Haken und Schnur gefressen, zu ihrem Evangelium erkoren und so dafür gesorgt, dass vorsichtig geschätzt 99,99% aller Filme (und ein ähnlich großer Anteil von Romanen, Computerspielen und anderen Beiträgen zur Populärkultur) nach dem gleichen Muster ablaufen. Mittlerweile gibt es neuere und sehr viel sensiblere Ansätze, die von diesem Narrativ abweichen. Eines davon ist die „Heldinnenreise“.
 
Ich kann hier auch nicht auf jede einzelne Station der „Heldinnenreise“ eingehen. Das ist immer noch eine Filmrezension und kein sozialpsychologischer Aufsatz. Aber Damien Dorsaz‘ „Maria Reiche: Das Geheimnis der Nazca-Linien“ ist ein wunderbares Beispiel für eine Heldinnenreise, dass ich dieses Konzept wenigstens kurz inhaltlich streifen möchte. Und mir gefällt der Gedanke, geneigte Leser*innen könnte dieses Thema anschließend noch etwas genauer nachlesen wollen, weil das nicht nur zu einem tieferen Verständnis von Film und anderen Erzählformen führen könnte.
 
Bei Campbells Heldenreise lauten die ersten Stationen 1. Ruf (zum Abenteuer), 2. Weigerung (Held zögert dem Ruf zu folgen), 3. Aufbruch (Zögern wurde überwunden), 4. Prüfungen (Auftreten von Problemen) und dann muss auch schon 5. Übernatürliche Hilfe (meist in Form eines Mentors) kommen. Ich glaube, ich muss keine weiteren Stationen der Heldenreise aufzählen, damit erfahrene Filmfans verstehen, woher der Aufbau so vieler Filme wie „Star Wars“ oder „Mad Max“ stammt. Weitere Stationen sind übrigens „Initiation und Transformation des Helden“ und „Verweigerung der Rückkehr (in den Alltag)“ und jetzt klingelt es vermutlich auch bei den letzten Leser*innen.
 
Das Konzept der Heldinnenreise stammt aus den 1990er-Jahren, hat unter anderem viel diffizilere entwicklungspsychologische Ansätze (die zu erläutern den Rahmen einer Filmrezension sprengen würde) und gesteht der Heldin nicht bloß sehr viel mehr Eigenverantwortung und Initiative zu, es fordert diese sogar ein. So hat eine der frühen Stationen der Heldinnenreise mit dem „illusorischen Wert des Erfolgs“ zu tun. Die Frau hat die Grenzen ihrer Konditionierung abzustreifen, sich für eine selbstgewählte Laufbahn zu entscheiden und/oder eine/einen Partner*in wählen, … kurz Entscheidungen zu treffen, die für Männer immer schon selbstverständlich waren.
 
Schon früh im Film sehen wir Maria Reiche ihre Konditionierung weit hinter sich lassen. Sie hat das heimatliche Dresden, ja sogar Deutschland gegen den Willen der Mutter verlassen. In Lima lebt sie in einer Beziehung mit einer Frau zusammen, lebt ihr eigenes Leben. Aber sie hat keine Scheu vor weiteren Stationen der Heldinnenreise. Die „spirituelle Dürre“ verlangt von Frauen „Nein“ zu sagen und das angenehme Gefühl, anderen zu gefallen, einzutauschen gegen die Möglichkeit zu verletzen und später zu heilen. Und wir sehen, wie Maria die Geborgenheit des Lebens in Lima und die Liebe der Partnerin zwar nicht geringschätzt, aber doch aufgeben muss, um ihrer Berufung zu folgen.
 
Ich fühle hier eine tiefe Verbundenheit mit mir selbst
 
Das alles zeigt uns Regisseur Damien Dorsaz in seinem ersten Spielfilm in sehr schönen und vor allem wirkungsvollen Bildern. Dorsaz war bisher in französischen Film- und Fernsehproduktionen als Schauspieler tätig. Und es ist bemerkenswert, wie fein und subtil er seinen (ich muss es nochmal betonen) ersten Spielfilm inszeniert. Er will uns nicht sofort mit Bildern der exotischen Landschaft beeindrucken. Er zeigt uns Lima, die peruanische Provinz und schließlich sogar die Wüste nicht als Kulissen für seine Geschichte, sondern buchstäblich als Lebensräume, als unterschiedlich belebte Räume. In Lima findet das internationale, moderne Leben statt, während es in der Kleinstadt bloß ein Telefon für den ganzen Ort gibt. In der Wüste gibt es noch weniger Leben, das sich meist an ihrem Rand abspielt.
 
Und so wie die Heldin erst einzelne Linien, dann verbundene Linien und erst nach und nach Bilder wahrnimmt und noch später deren Funktion erkennt, so zeigt uns Dorsaz die Wüste erst als Raum, der anders ist, dann als Sand und Hügel, die es zu überqueren und zu ersteigen gilt. Erst recht spät im Film, bekommen wir die Weite der Wüste gezeigt. So wie sich der Heldin das Wesen ihrer Umgebung und deren Geheimnisse erschließen, sehen wir, was sie sieht, erst wenn sie es sieht. So lässt uns dieser Film zu Begleitern dieser Heldinnenreise werden.
 
Natürlich ist „Maria Reiche: Das Geheimnis der Nazca-Linien“ nicht perfekt. So schön der Film über weite Strecken ist, sieht man ihm doch gelegentlich einen gewissen Mangel an Erfahrung und Budget an. Vor mehr als 80 Jahren gab es sicher selbst in Peru mehr als drei verschiedene Kraftfahrzeuge und die wenigsten werden so wunderbar gepflegt ausgesehen haben wie die im Film. Und das Finale wirkt beinahe hastig inszeniert, als hätte man das Ganze schnell abwickeln müssen.
 
Die Handlung nimmt auch an anderen Stellen Abkürzungen, die der historischen Figur nicht immer gerecht werden. Die eine oder andere weitere Episode aus dem Leben der echten Maria Reiche hätte den Film bereichert (die Frau hatte sich zum Beispiel im Alter von 52 Jahren an die Kufen eines Hubschraubers binden lassen, um bessere Luftaufnahmen der Nazca-Linien machen zu können). Der Drehbuchautor Dorsaz und seine Co-Autor*innen Fadette Drouard und Franck Ferreira Fernandes lassen ihre Figuren auch mehr als einmal Dialoge sprechen, die extrem viel Einsicht und an einzelnen Stellen prophetische Kenntnisse der Zukunft erkennen lassen.
 
Das alles tut der Heldinnenreise, die wir begleiten, nur wenig Abbruch. Wir begleiten die Heldin gerne, wird sie doch von Devrim Lingnau („Die Kaiserin“) kongenial dargestellt. Ihre Maria Reiche ist nicht einfach nur eine Heldin, nicht nur eine faszinierende Person. Diese Maria ist der seltene Fall einer Person, die auf ihrer Heldinnenreise tatsächlich „die Integration von männlichen und weiblichen Grundaspekten“ schafft. Am Ende kommen wir zusammen mit der Heldin jenseits der Dualität an. Das funktioniert, weil Lingnau Reiche als Menschen mit enormer innerer Kraft darstellt, einer Kraft, die nie gegen etwas gerichtet ist, sondern einfach da ist.
 
In Lingnaus Darstellung ist Maria Reiche gleichzeitig eine Frau ihrer Zeit, aber auch eine moderne Heldin. Diese moderne Heldin kann einem modernen Publikum vermitteln, dass Stärke nichts mit Aggressivität zu tun hat. Ich möchte Filmfans, die mich durch diese Rezension begleitet haben und die Maria Reiche vielleicht auf ihrer Heldinnenreise begleiten möchten, einen Satz des Ökologen und Politologen David W. Orr anbieten: „The Planet does not need more sucessful people. The Planet desperately needs more peacemakers, healers, restorers, stroytellers and lovers of all kinds.“ Dieser Planet braucht mehr Menschen wie Maria Reiche. Und mehr Filme, die Heldinnenreisen wie die ihre erzählen.
 
 
Fazit
 
Der seltene Fall eines Films, der uns auf eine Heldinnenreise einlädt. Die inspirierte Inszenierung eines begabten Regisseurs und die eindringliche und doch berührende Darstellung einer überaus begabten Hauptdarstellerin, lassen uns diese Einladung gerne annehmen.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Damien Dorsaz
  • Drehbuch: Fadette Drouard
  • Besetzung: Devrim Lingnau Islamoğlu, Olivia Ross