Barbie - Kinostart: 20.07.2023

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Nur wenige neue Filme bekamen im letzten Jahr bereits vor dem Start ...
 
... so viel Aufmerksamkeit wie „Barbie“. Aber witzige Memes und die Auftritte der Stars in Fernsehshows sagen nichts über die Qualität des Films aus …
 
Pink goes with everything
 
Ich will gar nicht viel über die Handlung von Greta Gerwigs neuen Film verraten. Nicht um Spoiler zu vermeiden. Sondern weil eine bloße Inhaltsangabe Gerwigs und Noah Baumbachs Drehbuch mit seinen vielen cleveren Ideen und witzigen Entwicklungen nicht gerecht würde. Aber auch weil es in „Barbie“ gar nicht so sehr um die Handlung des Films geht, sondern darum wie diese Handlung sich entfaltet, wie Regisseurin Gerwig immer wieder neue Wege findet, diese intelligente Geschichte zu erzählen und wie fantastisch die großartige Margot Robbie die Heldin verkörpert.
 
Dass „Barbie“ ein besonderer Film sein würde, war mir schnell klar. Der Prolog parodiert die Eröffnung von Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“. Diese Szene wurde bereits unzählige Male parodiert. Vermutlich ist sie zusammen mit „You talking to me?“, „Do you feel lucky, punk?”, John Hurts Hustenanfall beim Frühstück und Janet Leighs Dusche eine der meistparodierten Szenen der Filmgeschichte. Leider sind die meisten dieser Parodien nicht besonders witzig.
 
Der Prolog zu „Barbie“ ist wirklich witzig. Aber wir erkennen an der Stelle auch sofort das Werk einer außerordentlich begabten Filmemacherin. In dieser kurzen Szene wird deutlich: Greta Gerwig kennt ihr Vorbilder bestens. Sie hat großen Respekt vor dem Ausgangsmaterial. Und sie hat ein hervorragendes Auge, diesen ganz besonderen Blick, sowohl für das Schöne als auch alle visuellen Details. Dieser Blick unterscheidet gute Regisseur*innen von großartigen Regisseur*innen.
 
Nach der Pressevorführung zu „Barbie“ habe ich einen anderen Besucher gehört, wie er seiner weiblichen Begleitung erklärte, dass sei eben ein Film, den sich Frauen ansehen könnten, die früher mit Barbies gespielt hätten. Ich weiß längst, warum ich nach Pressevorführungen jedes Gespräch mit anderen Besuchern vermeide. Der Herr hat mit dieser kurzen Bemerkung seine Ahnungslosigkeit in Bezug auf Film aber auch Frauen, Barbies, das Leben, das Universum und den ganzen Rest belegt. Keine geringe Leistung.
 
Der Verfasser dieser Zeilen hat nie mit Barbies gespielt (allerdings musste mein Big Jim® vor mehr als vierzig Jahren eine Zeitlang in einem gebrauchten „Barbie Country Camper“ zu seinen Abenteuern fahren. Wir hatten nicht viel Geld.). Aber ich beschäftige mich seit mehr als dreißig Jahren intensiv mit Film (also fast so lange, wie ich mich mit Frauen beschäftige). Und ich möchte behaupten, in der Zeit habe ich einiges über Film gelernt (nicht so viel über Frauen). Ich habe also einige Ahnung von Filmen (von Frauen weniger). Und ich darf unseren Leser*innen versichern, „Barbie“ ist nicht bloß ein Film für Frauen, die früher mit Barbies gespielt haben.
 
It’s perfectly perfect
 
Barbie ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass man aus jedem Film einen sehr guten Film machen kann. Unabhängig vom Genre und seinem Ursprungsmaterial kann man jeden Film sehr gut gestalten. Man braucht dazu bloß die richtigen Leute vor und hinter der Kamera, die wissen was sie tun. Und das ist bei „Barbie“ der Fall.
 
Das Drehbuch von Greta Gerwig und Noah Baumbach („Frances Ha“, „Mistress America“, „Lady Bird“) ist eines der intelligentesten Drehbücher des Jahres. Natürlich wirkt vieles darin albern.
 
 
Aber das ist die beabsichtigte Wirkung. Dieser Film will albern wirken und erreicht diese Wirkung. Aber der Film ist niemals albern. Greta Gerwig hat sich mit „Lady Bird“ und „Little Women“ endgültig als eine der interessantesten Regisseur*innen unserer Zeit etabliert. Kaum jemand kann vielschichtige Frauenfiguren und ihre Geschichten so auf die Leinwand bringen wie Gerwig. Vielleicht hätte man auch andere Regisseur*innen mit der Inszenierung von „Barbie“ betrauen können. Aber nur Gerwig konnte daraus einen Film machen der gleichzeitig intelligent und witzig und niemals langweilig ist und dabei noch ganz nebenbei und ohne jeden Holzhammer Kritik an sozialen und wirtschaftlichen Themen übt.
 
Gerwig nimmt uns mit auf Barbies Reise und diese ist nie langweilig, egal ob wir per Spielzeugauto, Boot, Rakete, Tandem oder Rollschuhen reisen. Jede Wendung der Handlung und jede Kurve des Weges wird mit Schwung genommen. Und daher wird es niemals langweilig. Ich beklage oft die Überlänge banaler Filme, deren Handlungen kaum 90 Minuten Laufzeit rechtfertigen würden. „Barbie“ dauert knapp zwei Stunden und wirkt niemals zu lang. Vom witzigen Prolog zur grandiosen letzten Szene, die noch einmal sämtliche Erwartungen und Klischees auf den Kopf stellt, ist „Barbie“ immer hochwertige Unterhaltung.
 
Aber auch vor der Kamera stimmt (fast) alles. Passenderweise liefern die männlichen Darsteller die schwächeren Leistungen. Will Ferrell tut das, was man von Will Ferrell in der Rolle des CEO von Mattel in so einem Film erwarten würde und was man Will Ferrell in so vielen anderen Filmen tun gesehen hat. Das klingt nicht verkehrt. In diesem Film, der so oft Erwartungen durchkreuzt, ist das aber ein bisschen wenig.
 
Simu Liu spielt einen Ken. Nicht „den“ Ken, den spielt Ryan Gosling. Er spielt einen Ken, den zweitwichtigsten der vielen Kens. Und Simu Liu zeigt damit nach „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ wieder einmal, wie viel Charisma ihm zur Verkörperung solcher Figuren fehlt.
 
Ryan Gosling („La La Land“) spielt Ken mit vollem Körpereinsatz. Und auch wenn er in dieser sicher schwierigen Rolle nichts richtig falsch macht, wirkt es doch teilweise, als hätte Gosling den Film und die Idee dahinter nie so ganz verstanden. Gosling spielt immer ein bisschen so, als müsste er dem Publikum vermitteln, es sei alles bloß ein Spaß. Damit tut er dem Film kaum einen Abbruch. Aber er zeigt damit ganz deutlich, wie viel großartiger die Leistung von Margot Robbie ausfällt.
 
Margot Robbie IST Barbie. Wenn kaum jemand in den letzten zehn Jahren vielschichtige Frauenfiguren und ihre Geschichten so auf die Leinwand bringen konnte wie Greta Gerwig, dann konnte kaum jemand in den letzten zehn Jahren vielschichtige Frauenfiguren und ihre Geschichten so darstellen wie Margot Robbie. Sie hätte den Oscar für „I, Tonya“ verdient. Sie war in „Maria Stuart, Königin von Schottland“ besser als der ganze Rest des Films. Und in „Once Upon a Time in Hollywood“ haben wir uns alle in sie verliebt.
 
Vor dem Film hätte ich vielleicht gemeint, Margot Robbie sei viel zu intelligent, um etwas so unbedarftes wie Barbie zu spielen. Mittlerweile weiß ich, NUR Margot Robbie konnte Barbie spielen. Nur sie ist intelligent genug, so etwas unbedarftes glaubhaft darzustellen. Margot Robbie gelingt ein Kunststück, das tatsächlich unmöglich sein sollte. Sie spielt eine Plastikpuppe, die zu einer denkenden, fühlenden Frau wird und das alles wirkt in jeder Szene absolut logisch und emotional nachvollziehbar. Wir sehen hier nie eine Schauspielerin bei der Arbeit. Wir sehen nur Barbie, die zur Frau wird.
 
America Ferrera, bekannt aus der Serie „Superstore“, wirkt authentisch als Mattel-Angestellte und besorgte Mutter. Kate McKinnon („SNL“, „Ghostbusters“) verlässt als schräge Barbie niemals ihre Wohlfühlzone. Und die Rolle von Michael Cera („Juno“) ergibt keinerlei Sinn, stört aber auch nicht.
 
 
Fazit
 
„Barbie“ ist so viel mehr als Stoff für Memes. „Barbie“ ist einer der witzigsten und intelligentesten und definitiv einer der originellsten Filme des Jahres. Ganz sicher nicht nur für Frauen, die früher mit Barbies gespielt haben.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Greta Gerwig
  • Drehbuch: Noah Baumbach
  • Besetzung: Margot Robbie, Ryan Gosling