Deadpool & Wolverine - Kinostart: 24.07.2024

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In einer der besten Comic-Verfilmungen aller Zeiten geht es am Ende um ...
 
... die Frage, ob wir den Helden bekommen, den wir brauchen oder den Helden, den wir verdienen.
 
Only You (And You Alone)
 
Einen Ausblick auf die Handlung von „Deadpool & Wolverine“ erspare ich mir und unseren Leser*innen. Zum einen wird sich kein normaler Mensch diesen Film wegen der Handlung ansehen. Zum anderen hat „Deadpool & Wolverine“ keine Handlung im eigentlichen Sinn des Wortes. Rhett Reese, Paul Wernick, Zeb Wells, Shawn Levy und Ryan Reynolds selbst haben sich hier eine wilde Mischung aus Klischees, alten Versatzstücken, Klischees, Vorwänden für Kampfszenen und noch mehr Klischees aus ihren Allerwertesten gezogen, die man beim besten Willen nicht als „Handlung“ bezeichnen kann.
 
Angereichert wird das Ganze mit jeder Menge flotter Sprüche, die nicht alle so witzig sind, wie vor allem Ryan Reynolds wohl meint und von denen einige dann auch ein bisschen zu viel des Guten ergeben. Apropos „zu viel des Guten“: Die Macher von „Deadpool & Wolverine“ begraben ihr Publikum unter einer Lawine von Fanservice, wie man sie selbst im modernen Popcorn-Kino noch nicht erlebt hat.
 
Vergesst „Spider-Man: No Way Home“ mit den verschiedenen Peters und Schurken der anderen Serien. Um mit „Deadpool & Wolverine“ mithalten zu können, hätte Nicholas Hammond, der Spider-Man aus der der Fernsehserie der späten Siebzigerjahre jede einzelne Figur aus der Disney-Junior-Serie „Spidey und seine Super-Freunde“ fisten müssen. Selbst „Der Aufstieg Skywalkers“ kann da nicht mithalten. „Somehow, Palpatine returned” am Arsch! “Somehow a whole lot of old Marvel-Characters returned and they all showed up to fight with or against or with and against Deadpool & Wolverine, because who the f.ck cares?” war ganz offensichtlich das Motto der Macher dieses Films.
 
„Deadpool & Wolverine“ steckt so voller „Easter Eggs“ wie ein Süßwarenladen am Gründonnerstag. Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich sogar das Auto aus „Ein Ticket für Zwei“ entdeckt, einer mehr als fünfunddreißig Jahre alten Komödie mit Steve Martin und dem großartigen, viel zu früh verstorbenen John Candy (der immerhin ebenso aus Kanada stammte wie Ryan Reynolds). Um noch einmal ein Zitat aus Star Wars abzuwandeln, „The Fanservice is strong with this one“. Wenn an einer Stelle des Films eine Figur zur anderen meint, „Let’s give the people what they came for“ ist das absolut wörtlich zu nehmen.
 
Warum ist es dann für einen echten Filmfan so ein enttäuschendes Erlebnis, „Deadpool & Wolverine“ gesehen zu haben? Warum fühlt man sich, als hätte man seine Zeit viel besser nutzen können? Warum hinterlässt dieser Film einen etwas schalen Nachgeschmack?
 
An der Action kann es kaum gelegen haben. Die ist vom feinsten. CGI und praktische Effekte werden von Regisseur Shan Levy alle paar Minuten zu rasanten, knallharten Kampfszenen kombiniert. Alles, was wir zu sehen bekommen ist von höchster Qualität. Aber leider wirkt auch kaum etwas irgendwie neu oder interessant. Die Idee mit dem Kampf zweier Superhelden in einem Mini-Van hat man wohl für originell gehalten. Auf mich wirkt sie eher bemüht.
 
 
Hells Bells (Spoiler)
 
Natürlich wird zusätzlich zum Feuerwerk der Schusswaffen auch wieder ein Gag-Feuerwerk abgebrannt. Aber nicht alle dieser Gags zünden. Der Gag mit dem hässlichen Hund im Deadpool-Kostüm wirkt mehr als bemüht, er wirkt verkrampft. Und eine große Zahl an zusätzlichen Deadpools macht den Film nicht unterhaltsamer, wenn das Original bereits anfängt, einem auf den Sack zu gehen.
 
In meiner Rezension zu „Deadpool 2“ meinte ich, Ryan Reynolds sei geboren worden, diese Rolle zu spielen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Aber vielleicht hat Herr Reynolds derlei in letzter Zeit zu oft gelesen oder gehört. Vielleicht ist allzu viel einfach ungesund. „Deadpool & Wolverine“ ist nicht der erste Film, in dem Ryan Reynolds ein bisschen anstrengend wirkt (siehe „Self/less“ oder „Red Notice“).
 
Er ist aber der erste Deadpool-Film, in dem er ein bisschen anstrengend wirkt. Hugh Jackman wurde nicht geboren um Wolverine zu spielen. Selbstverständlich kann und will man sich keinen anderen Darsteller in dieser Rolle vorstellen, die er mittlerweile in 10 unterschiedlichen Filmen verkörpert hat. Aber geboren wurde Hugh Jackman nicht um Wolverine zu spielen. Er wurde geboren, von Oklahoma zu singen, „where the wind comes sweepin' down the plain“ oder davon was sein “Boy Bill” alles werden könnte oder eben von einer „never-ending road to Calvary“.
 
Es ist vielleicht die große Tragödie des Hugh Jackman, dass er einfach nur singen und tanzen möchte, die Studios aber alle paar Jahre etwas ganz anderes von ihm verlangen. Für die muss er sich regelmäßig für einige Monate in die Hände eines Personal Trainers begeben und darf während dieser Zeit kein einziges Kohlehydrat zu sich nehmen. In der Woche vor den Aufnahmen für die unvermeidliche Szene ohne Hemd darf er dann nur noch den Saft einer halben Zitrone täglich zu sich nehmen, um dann am Tag vorher Entwässerungstabletten einzunehmen.
 
 
Am Tag der Aufnahme darf ihm die Maskenbildnerin dann den Hintern rasieren und die so gewonnen Haare auf die Brust kleben, damit der Anblick des mittlerweile Fünfundfünfzigjährigen das Publikum nicht enttäuscht. Hier wird nicht gesungen, Herr Jackman. Hier wird blank gezogen! Das will das Publikum sehen. Naja, … immerhin hat Herr Jackman auf die Art über die Jahre das Bruttoinlandsprodukt eines kleineren Landes verdient. Unser Mitleid kann sich also in Grenzen halten.
 
Außer Ryan Reynolds und Hugh Jackman spielen auch noch verschiedene andere Darsteller mit, einige neu im Marvel-Cinematic-Universe andere ganz und gar nicht neu. Es gibt viele Auftritte alter Bekannter aus dem MCU, die fast alle ein bisschen so wirken, als hätte man eben alle Darsteller*innen genommen, die gerade Zeit und Lust hatten und bereit waren für die angebotene Gage zu arbeiten. Halbwegs witzig ist nur einer dieser Auftritte und dieser Darsteller hat vor einigen Jahren auch schon für den besten Gag in „Free Guy“ gesorgt.
 
Als die versammelten Vertreter der Filmpresse sich halb tot gelacht haben, nur weil eine alte Marvel-Heldin auf ihren früheren Filmpartner angesprochen wurde, mit dessen Darsteller diese Schauspielerin auch im realen Leben eine Beziehung hatte, konnte ich gerade noch schmunzeln. Als man im Saal tatsächlich geklatscht hat, nur weil eine Figur eine Maske aufsetzte, die sie bisher nur in den Comics aber nie im Film getragen hat, habe ich mich ein bisschen fremdgeschämt.
 
I’ll be seeing you
 
Regelmäßige Leser*innen von cinepreview.de sind es gewohnt, dass ich zu Anfang einer Rezension gelegentlich über ein ganz anderes Thema als den zu besprechenden Film schreibe. Heute stelle ich einen solchen Exkurs mal an das Ende.
 
Der Soundtrack von „Deadpool & Wolverine“ besteht wieder aus einer Mischung der besten und erfolgreichsten Songs der Musikgeschichte. An einer wesentlichen Stelle des Films hören wir den Klassiker „I’ll be seeing you“ in der Version von Jimmy Durante. Und das erinnerte mich an eine ganz besondere Geschichte.
 
Am 25.01.2004 landete der Rover „Opportunity“ auf dem Mars. Die Sonde war nur für eine Missionsdauer von 90 Tagen ausgelegt. Aber der kleine Roboter erfüllte seine Aufgabe 14 Jahre und 219 Tage lang, bis zum 10.06.2018 und damit ungefähr 56 (!) mal länger als geplant. Vom 10.06.2018, dem Tag der letzten Datenübertragung von „Opportunity“, bis zum 13.02.2019 versuchten die Techniker*innen der NASA den kleinen Rover über eine enorme Entfernung immer wieder „aufzuwecken“. Leider vergeblich. Die letzte Übertragung von der Erde an den kleinen Roboter und damit sozusagen sein Abschiedslied war Billie Holidays Version von „I’ll be seing you“.
 
An dieser Stelle fordere ich alle echten Filmfans auf, die Worte „Mars Rover Opportunity“ in Google-Bildersuche einzugeben. Wenn das was sie sehen, sie NICHT an Pixars „WALL·E“ erinnert, haben sie kein Herz. Und wenn der Gedanke an diese tüchtigen Männer und Frauen, die sich von einer tüchtigen kleinen Maschine mit einem wunderschönen, traurigen Lied verabschieden, sie nicht berührt, haben sie ebenfalls kein Herz.
 
Kaum jemand kennt diese Geschichte, weil sich kaum noch jemand für die NASA und ihre Missionen interessiert. Wir leben in einer Zeit des Überflusses. Informationen, Unterhaltung, … alles prasselt ständig auf uns ein. Und wir nehmen kaum noch etwas davon wahr und verarbeiten noch weniger. Der Mars-Rover „Opportunity“ und die ihn betreuenden NASA-Techniker sind die Helden, die wir brauchen. Aber sie sind sicher nicht die Helden, die wir verdienen.
 
 
Fazit
 
„Deadpool & Wolverine“ sind nicht die Helden, die wir brauchen. Aber mit unserer wachsenden Vorliebe für Filme, die uns bloß mehr von dem geben, was uns schon einmal gefallen hat, sind sie die Helden, die wir verdienen.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Shawn Levy
  • Drehbuch: Shawn Levy
  • Besetzung: Ryan Reynolds, Hugh Jackman