Kirschblüten & Dämonen - Kinostart: 07.03.2019

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Doris Dörries neuer Film ist eine Geistergeschichte, ein Familiendrama, ein Film ...
 
... über das Leben und über das Sterben und über die Geschlechterrollen und was sie uns antun. Und dann setzt der Film auch noch die Geschichte der Figuren von „Kirschblüten – Hanami“ fort.
 
Kinder sind so enttäuschend
 
Karl lebt allein in München. Er trinkt und hat dadurch Frau und Kind verloren. Im Rausch sieht er dunkle Gestalten, die ihm Angst machen. Eines Tages steht Yu vor der Tür. Als Karl vor zehn Jahren keine Zeit für seinen Vater Rudi hatte, hat die junge Japanerin die letzten Tage seines Lebens mit ihm verbracht. Sie will Rudis Grab sehen und das Haus, in dem er gelebt hat. Das Elternhaus steht schon lange leer. Und mit seinen Geschwistern hat Karl auch keinen Kontakt mehr. Trotzdem reist er mit Yu ins Allgäu. Dort treffen beide auf die Geister ihrer Eltern.
 
Doris Dörries neuer Film ist nicht einfach eine Fortsetzung von „Kirschblüten – Hanami“. Dafür ist ihr neuer Film viel zu vielschichtig, viel zu dicht an Ideen und Konzepten. Dieser Film zeigt einen einzelnen Mann in der Krise und erzählt gleichzeitig von der Krise des Mannes in der modernen Gesellschaft. Der Mann der nicht mehr Ehemann, Vater und Ernährer ist, bekommt gleich in der zweiten Szene des Films zu hören, er solle abhauen, er sei doch kein Mann. Später verliert er sein Geschlecht, um zu erkennen wie sehr ihn die Geschlechterrolle eingeengt hat.
 
Der Film zeigt auch welche Geheimnisse man in Familien voreinander hat und wie diese Geheimnisse die Familien auseinandertreiben. Ängste bestimmen die Leben der Menschen. Zu spät sieht der Geist des verstorbenen Vaters ein, „Wir hatten immer solche Angst. Dann waren wir plötzlich tot.“ Und der Film bietet eines der menschlichsten Jenseitskonzepte der Filmgeschichte. Warum sollen Geister nach ihrem Tod anders sein, anders fühlen? Sie sind doch immer noch die gleichen Menschen, bloß eben tot.
 
Und so haben die Geister immer noch Ängste, haben immer noch Sehnsüchte, machen sich immer noch Sorgen.
 
Hilft es was, das Reden?
 
Aber der Film bietet nicht nur originelle Konzepte. Er bietet auch eine originelle Umsetzung. Längst haben wir uns daran gewöhnt, wie uns Filme immer alles haarklein im Dialog erklären. Doris Dörrie ist aber noch eine echte Filmemacherin. Und so erzählt sie ihre Geschichte mit filmischen Mitteln. Wenn wir in der ersten Szene des Films sehen, wie Karl in der Tankstelle zwei kleine Schnapsfläschchen auf Ex leert, um dann uneingeladen beim Geburtstag der Tochter zu erscheinen, braucht uns niemand zu erklären, welche Probleme dieser Mann hat. Dörrie hat uns in zwei kurzen Szenen das ganze Elend seiner Situation gezeigt.
 
Wenn die Geister der Eltern irgendwann mit den eigenen Eltern am Tisch sitzen, wünscht man sich, die Szene wäre länger. Doch Dörrie weiß, weniger ist oft mehr. Und so teilen wir Karls Verwirrung nachdem er einen kurzen Einblick in Konflikte und Probleme bekommen hat, die viel älter sind als er selbst und die doch noch immer in ihm selbst präsent sind.
 
Und wenn die Hauptfigur die schlimmste Krise durchmachen muss, die für einen Mann vorstellbar ist, dann beginnt seine Heilung, wie bereits im ersten Film, wenn der Mann Frauenkleidung anlegt. Nur mit diesem einfachen Bild vermittelt uns Dörrie eine simple Wahrheit: die klassischen Geschlechterrollen sind längst überholt. Sie nutzen niemandem mehr. Und oft genug schaden sie den Menschen.
 
 
Dämonen, Geister und Menschen
 
Golo Euler spielt Karl und ist damit der einzige aus der Darstellerriege, der nicht bereits im ersten Film zu sehen war. Wie hervorragend er den selbstmitleidigen überforderten Mann gespielt hat, wird erst richtig erkennbar, wenn er gegen Ende des Films den genesenden Karl viel jünger, frischer und lebendiger spielt.
 
Aya Irizuki bringt im wahrsten Sinne des Wortes wieder Leben in den Film. Ihre Yu ist eine Fee, ein Zauberwesen, ein weises Kind und doch auch eine Frau mit menschlichen Sehnsüchten. Sie bildet den emotionalen Mittelpunkt des Films.
 
Hannelore Elsner hatte immer schon ein wunderschönes, ausdrucksstarkes Gesicht. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde dieses Gesicht immer schöner, bis es in den letzten Jahren jenseits von schön angekommen ist. Im Gegensatz zu ihrer Rolle als stille, opferbereite Leidende im ersten Film, kann sie hier in ihren wenigen Szenen ein breites Spektrum an Gefühlen vermitteln. Elsner zeigt eine der besten Darstellungen ihrer Karriere.
 
Elmar Wepper zeigt in seiner Rolle als Rudi, wie ein Vater nie aufhört Vater zu sein, selbst wenn das Kinder schon groß und der Vater selbst tot ist. Er vermittelt auch das ganze Leid einer Generation von Männern, die nie Schwäche zeigen oder zulassen durften.
 
Die japanische Schauspielveteranin Kiki Kirin spielt eine Zimmerwirtin, die Karl nicht nur eine Herberge bietet. In wenigen, berührenden Szenen zeigt sie uns eine Frau am Ende eines langen Weges, die zu viel Verlust zu ertragen hatte. Kiki Kirin starb im September letzten Jahres, wenige Monate nach Abschluss der Dreharbeiten im Alter von 75 Jahren. Ihrem Andenken ist der Film gewidmet.
 
 
Fazit
 
Doris Dörries neuer Film ist keine bloße Fortsetzung von „Kirschblüten – Hanami“. Dieser Film steht mit seiner vielschichtigen Handlung und seinem originellen Konzept für sich selbst. In teils schaurigen, teils wunderschönen aber immer hervorragend fotografierten Bildern erzählt er berührende Geschichten und stellt dem Zuseher einige schwierige Fragen.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Doris Dörrie
  • Drehbuch: Doris Dörrie
  • Besetzung: Elmar Wepper, Hannelore Elsner