Jean Seberg war eine faszinierende Schauspielerin und komplizierte Person.
Einer ihrer Filme ist weltberühmt, zwei oder drei andere laufen noch ab und an im Fernsehen. Aber Seberg selbst ist fast vergessen. Wird der neue Film mit Kristen Stewart etwas daran ändern können?
„Es ist belanglos. Ich will ein Zeichen setzen“
1968 ist Jean Seberg auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs. Sie ist ein Star in Europa und den USA. Aber sie will mehr sein als das. Sie engagiert sich politisch. Sie hat Affären. Mit ihrer Unterstützung der „Black Panthers“ schafft sie sich mächtige Feinde. FBI-Chef J. Edgar Hoover persönlich weist seine Beamten an, die Schauspielerin zu beschatten und abzuhören. Durch eine Schmutzkampagne sollen Sebergs Ruf und ihre Karriere zerstört werden …
Jean Seberg war sicher eine komplizierte Person. Sie wollte viel. Vielleicht zu viel. Sie wollte Schauspielerin sein und ihr Privatleben schützen. Sie wollte politische Aktivistin sein, aber auch das Leben eines Stars führen. Sie wollte Mutter sein und hatte unzählige Affären. Vielleicht war das alles zu viel für diese schwierige Frau, an der bereits die Arbeit an ihrem ersten Film körperliche und seelische Narben hinterlassen hat.
Regisseur Benedict Andrews hat bisher vor allem für das Theater gearbeitet. Ebenso wie Seberg vor mehr als fünfzig Jahren, will er mit seinem Film viel erreichen. Und ebenso wie Seberg, weiß er nicht recht wie er das anfangen soll. Ebenso wie Seberg in den meisten ihrer Filme, muss er mit einem schwachen Drehbuch arbeiten. Und ebenso wie bei Seberg fallen seine wichtigsten Entscheidungen fatal aus.
Um gleich zum Punkt zu kommen: Kristen Stewart ist eine komplette Fehlbesetzung. Dieser Film hätte mit einer kompetenteren Darstellerin auch nicht funktioniert. Aber jemand wie Saoirse Ronan oder Margot Robbie hätten aus Jean Seberg vielleicht einen dreidimensionalen Charakter gemacht. Sie wären dem Vorbild wenigstens halbwegs gerecht geworden. Seberg hat im Laufe ihres Lebens mehr als dreißig Filme gedreht. Ihre Art zu sprechen, sich zu bewegen, ihre zurückhaltende Art zu spielen und damit trotzdem viel auszudrücken, ist bestens dokumentiert. Wenn die Macher dieses Films die Hauptrolle mit Kristen Stewart besetzen, können sie das Vorbild nie richtig studiert oder verstanden haben.
Seberg hat meist ruhig und verhalten gespielt. Diese grazile Person war oft das Zentrum ihrer Filme, der Angelpunkt um den sich das Geschehen drehte. Belmondo konnte mit großen Gesten und viel „oh lala“ seinen kleinen Gauner an ihr abprallen lassen. Seberg blieb unbeeindruckt von Peter Sellers Clownerien und vielen Verkleidungen. Ihre Figur war ein Bollwerk der Vernunft und des Realismus in einem komplett durchgeknallten Film-Musical, in dem keiner der beiden männlichen Hauptdarsteller singen konnte.
Und diese faszinierende, vielschichtige Person sollte nun von einer Schauspielerin dargestellt werden, die damit bekannt wurde, Liebe zu einem glitzernden Vampir durch gnadenloses overacting bei gleichzeitig ewiggleichem Gesichtsausdruck auszudrücken. Wir wollen nicht zu hart sein. Stewart kann in der richtigen Rolle, im richtigen Film, unter der richtigen Regie durchaus eine gewisse Wirkung entfalten. Aber hier ist sie die falsche Darstellerin, für die falsche Rolle, im falschen Film, unter der falschen Regie.
Wie bereits erwähnt, dieser Film hätte mit einer kompetenteren Darstellerin auch nicht funktioniert. Das liegt vor allem am komplett misslungenen Drehbuch von Anna Waterhouse und Joe Shrapnel. Die beiden Autoren sind bereits mit „Zeit für Legenden“ einem faszinierenden Menschen und seiner Geschichte nicht gerecht geworden. Hier versagen sie komplett. Jean Seberg war eine Getriebene, die bereits vor ihrer Bekanntschaft mit dem schwarzen Aktivisten Hakim Jamal politisch aktiv war. Hier wirkt es, als würde sie den Bürgerrechtler aus einer Laune heraus unterstützen und aus Langeweile mit ihm Sex haben.
Seberg war vielleicht einfach eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Damals war es für männliche Hollywoodstars durchaus üblich, immer wieder außereheliche Affären zu haben. Das waren eben echte Kerle. Seberg hat nichts anderes getan, wurde dafür aber geächtet, eben weil sie eine Frau war. Erfolgreiche männliche Darsteller durften damals auch durchaus politisch aktiv sein. Männer wie Marlon Brando, Donald Sutherland und Richard Burton haben die „Black Panthers“ auch unterstützt. Aber niemand hielt es für nötig, deren Karrieren zu zerstören. Nichts davon wird in diesem Film gezeigt.
In diesem Film ist das FBI böse, weil ein Film eben einen Bösewicht braucht. Man hätte zeigen können, wie das FBI und andere Exekutivbehörden damals (und auch heute) vor allem die Macht des weißen Mannes bewahren und die weitere Unterdrückung aller anderen Bevölkerungsgruppen gewährleisten sollten. Aber auch davon wird nichts in diesem Film gezeigt. Die Beweggründe von J. Edgar Hoover in diesem Film werden nicht halb so gut beleuchtet wie die des Imperators in „Star Wars“.
„Was kann so wichtig sein?“
Und obwohl wir über das FBI und seine Mitarbeiter praktisch nichts erfahren, verschwendet der Film die Hälfte seiner Laufzeit damit, uns diese Organisation und seine Beamten zu zeigen. Während man Jean Seberg, ihr Leben und ihre Probleme hätte zeigen können, sehen wir immer und immer wieder den FBI-Agenten Jack Solomon. Wir bekommen gezeigt, wie gut er darin ist Leute abzuhören. Wir sehen, wie seine attraktive Frau bereits beim Frühstück Sex mit ihm hat. Wir sehen ihn beim Abendessen mit Kollegen. Die Hälfte des Films sehen wir diesen FBI-Agenten und erfahren doch nichts über ihn. Wenn er gegen Ende des Films die Seiten wechselt, wissen wir nicht, ob er plötzlich ein Gewissen entwickelt oder sich in Seberg verliebt hat. Der Darsteller Jack O’Connell („Unbroken“) hat hier rein gar nichts, womit er einen Charakter schaffen könnte.
Wenn wir über den FBI-Agenten Jack Solomon nichts erfahren, dann erfahren wir über seinen Kollegen Carl Kowalski wenigstens eines: diese Figur ist ein Drecksack. Der Mann ist ein Drecksack in seiner ersten Szene, er ist ein Drecksack in seiner letzten Szene und auch in jeder Szene dazwischen. Wie bereits erwähnt, nimmt sich der Film viel Zeit, uns die FBI-Agenten und ihr Leben zu zeigen. Wenn wir mittendrin sehen, wie dieser Agent Kowalski selbst vor Gästen seine Frau und seine Tochter unterdrückt, vermittelt uns der Film damit bloß, was wir längst wussten: der Kerl ist ein Drecksack.
Vince Vaughn („Voll auf die Nüsse“) spielt diese Figur ebenso uninspiriert wie naheliegend als Drecksack. Anthony Mackie („The Hurt Locker“) kennen wir vor allem als „Falcon“ aus den „Avengers“-Filmen. Er verschwendet sein Talent in der Rolle des Bürgerrechtlers Hakim Jamal. Man wünscht sich, er dürfte diese Rolle irgendwann noch einmal in einem sehr viel besseren Film spielen.
Die Besetzung des Films besteht also aus einer Hauptdarstellerin, die komplett fehlbesetzt ist und drei männlichen Darstellern, von denen einer eine nichtssagende, einer eine klischeehafte und der dritte eine grandiose Leistung zeigen. Ähnlich unausgewogen arbeitet auch das Team hinter der Kamera.
Kamerafrau Rachel Morrison („Black Panther“) sorgt für teilweise wunderschöne Bilder. Diese werden dann von Cutterin Pamela Martin („The Fighter“) mal mehr, mal weniger gut montiert. Wenn man sieht, wie Bilder oder ganze Szenen für sich alleine stehen und ins Leere laufen, liegt der Schluss nahe, dass hier die Schuld vor allem bei der überforderten Regie zu suchen ist.
Die Ausstattung sieht teilweise großartig aus. Doch dann sieht man wiederum Figuren in Kleidung herumlaufen, die nicht einmal halbwegs zeitgemäß aussieht. In einer Sequenz sitzen Stewart und Mackie in einer Boeing 747, erkennbar an der Treppe zum Oberdeck. Anschließend sieht man sie aus einem Flugzeug mit bloß einem Deck aussteigen. Solche und andere Szenen runden bloß das Bild eines gutgemeinten aber komplett unentschlossenen und weitgehend misslungenen Films ab.
Fazit
Es wäre wirklich an der Zeit für einen Film über Jean Seberg, um diese Frau vor dem Vergessen zu bewahren. Was ihr von mächtigen Männern angetan wurde, wäre Stoff für einen wichtigen Film mit einer immer noch gültigen Aussage. „Jean Seberg – Against all Enemies“ ist nicht dieser Film.
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