Cry Macho - Kinostart: 21.10.2021

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Pläne, den Roman „Cry Macho“ von und mit Clint Eastwood verfilmen ...
 
... zu lassen, haben seit mehr als Dreißig Jahren bestanden. Das und vieles mehr sieht man Eastwoods neuem Film an …
 
You owe me
 
Mike Milo war mal einer der besten Rodeo-Cowboys von Texas. Aber das ist lange her. Jetzt kann er froh sein, wenn sein ehemaliger Boss einen ungewöhnlichen Auftrag für ihn hat. Mike soll nach Mexiko fahren und dort den unehelichen Sohn des Auftraggebers finden und nach Texas bringen. Aber das ist leichter gesagt als getan …
 
Unabhängig von seiner politischen Einstellung (einfach mal „Eastwood, chair, RNC“ bei youtube eingeben) habe ich Clint Eastwood als Filmemacher lange Zeit immer verteidigt. Vor allem sein Spätwerk zeichnete sich lange Zeit durch konstant hohe Qualität aus. Aber vielleicht ist das gerade der springende Punkt: die lange Zeit. Eastwoods Karriere und selbst sein Spätwerk umspannen so lange Zeiträume, man muss mittlerweile das frühe Spätwerk vom späten Spätwerk trennen.
 
Setzen wir Eastwoods Werk mal in einen historischen Kontext. Und beschränken wir uns lieber auf sein Werk als Regisseur, weil er seinen ersten Auftritt als Schauspieler hatte, als John F. Kennedy noch Senator von Massachusetts und das Saarland ein eigener Staat war. Eastwood hat „Play Misty for me“, seinen ersten Film als Regisseur, 1971 gedreht, ein volles Jahr vor dem Einbruch in die Büros im Watergate-Gebäude. Damals hieß der deutsche Bundeskanzler noch Willy Brandt. „Bronco Billy“, Eastwoods erste Demontage des Western-Genres kam 1980 in die Kinos, noch bevor Ronald Reagan US-Präsident wurde, ein Jahr vor der Gründung von MTV und zwei volle Jahre vor Helmut Kohls Amtsantritt.
 
Eastwoods erstes spätes Meisterwerk, „Unforgiven“, habe ich gesehen bevor Bill Clinton Präsident der USA werden sollte. In Deutschland sollte Kohl noch eine Weile Kanzler bleiben und es gab noch Neuwagen ohne Airbags zu kaufen. In „Space Cowboys“ machte sich Eastwood bereits vor über 20 Jahren selbst über sein Alter lustig. Damals stand das World Trade Center noch. „Gran Torino“, dieses endgültige Meisterwerk zum Thema Gewalt, lief an bevor Barack Obama an die Macht kam. Bei uns hatte Angela Merkel erst kurz zuvor Gerd Schröder abgelöst und die ersten iPhones wurden verkauft.
 
Ich weiß selbst, wie langweilig Geschichtsunterricht ist, aber ich wollte klarstellen, wie lange dieser Mann nun schon hervorragende Filme macht. Oder gemacht hat. Denn das späte Spätwerk Eastwoods zu verteidigen, fällt einem teilweise sehr schwer. „American Sniper“ war eine komplett unkritische Heldenverklärung. Hervorragend gemacht, aber politisch ignorant. „Sully“ fügte der spektakulären Notlandung auf dem Hudson ein Drama hinzu, das es nie gegeben hat. „15:17 to Paris“ war eine Schnapsidee. Mit „The Mule“ schmeichelte Eastwood seiner eigenen Eitelkeit. “Der Fall Richard Jewell“ war widerlich in seiner Frauenfeindlichkeit und spätestens mit diesem Film musste man sich fragen, warum Eastwoods spätes Spätwerk fast ausnahmslos auf wahren Begebenheiten beruht, wenn ihm die tatsächlich wahren Begebenheiten doch herzlich gleichgültig sind.
 
Eastwoods spätes Spätwerk ist also hervorragend gemacht aber politisch ignorant, unnötig dramatisch, eine Schnapsidee, schmeichelt seiner Eitelkeit und ist ebenso frauenfeindlich wie unrealistisch. Alle Filmfans, die sich daran nicht stören, dürfen gleich Platz nehmen auf dem Beifahrersitz von Eastwoods altem Pick-Up. Denn „Cry Macho“ vereint fast alle dieser Eigenschaften in sich. Bloß eine fehlt. Und das wäre die wichtigste gewesen. Denn „hervorragend“ ist nicht mehr viel an Eastwoods erstem Beitrag zu seinem ganz besonders späten Spätwerk, der Centenarischen Phase.
 
 
Betrachten wir mal die Eröffnungsszene. Mike betritt das Büro des reichen Ranchers und nimmt sich einen Kaffee. Sein Boss meint, Mike sei zu spät. Mike fragt bloß „Zu spät für was?“. Mit diesem kurzen Wortwechsel werden wir in diesem Film zum letzten Mal realistisch klingenden, witzigen Dialog hören. Der Rest der Szene besteht aus einer ewiglangen, erklärenden Litanei mit der uns der arme, stets verlässliche Dwight Yoakam nicht bloß die ganze Lebensgeschichte der Hauptfigur erzählen sondern wohl auch noch die wichtigsten Notizen aus mehreren Therapiesitzungen erläutern muss. Das ist doch Exposition für Hörspiele. So macht man das im Film doch seit Jahrzehnten nicht mehr. Das konnte Eastwood selbst vor Jahrzehnten schon besser.
 
In „The Gauntlet“ von 1977 sah man einen zivilen Streifenwagen vor dem Revier parken. Beim Öffnen der Fahrertür fiel eine Flasche Jack Daniels aus der Tür und zerschellte auf dem Boden. Die von Eastwood verkörperte Hauptfigur reagierte genervt und hatte Mühe auszusteigen. So funktioniert Exposition! Eine kurze wortlose Szene und wir wissen, mit wem wir es zu tun haben. „Cry Macho“ hingegen beginnt mit endlosem Gerede, nur um dann zur nächsten Szene überzugehen, die zwar ein Jahr später spielt, in der aber die gleichen beiden Figuren wieder jede Menge expositorischen Dialog quatschen. Allein die von Yoakam gespielte Nebenfigur hat hier mehr Text als manche von Eastwoods Hauptfiguren in früheren Filmen. Alte Leute erzählen eben gern.
 
Aber Eastwoods neuem Film fehlt nicht nur die Ökonomie des Dialogs. Auch der visuelle Stil von Eastwoods frühem Spätwerk fehlt hier fast völlig. Eastwood hat so unterschiedliche Umgebungen wie Prärien oder amerikanische Großstädte, die afrikanische Steppe oder die Brücken von Madison County immer hervorragend in Szene gesetzt. Hier spielen mehrere Szenen in Mexiko-City und wir bekommen von dieser Metropole keinerlei Eindruck vermittelt. Das liegt vermutlich daran, dass der Film keinen einzigen Drehtag in Mexiko-City hatte. Alte Leute reisen wohl irgendwann einfach nicht mehr so gern.
 
Look where you’re going and go where you’re looking
 
Der ganze Film wirkt vor allem visuell oft ungeschickt oder sogar nachlässig gemacht. Mike und sein Schützling werden von der Polizei gesucht, fahren bis auf wenige Meter an eine Straßensperre heran, halten, betrachten die Straßensperre, biegen dann in einen Feldweg ab und keiner der Polizeibeamten interessiert sich dafür. Eine Lokalbesitzerin kann eine Durchsuchung des Lokals durch die Polizei abwenden, indem sie das Schild an der Tür vor der Nase des Polizisten von „Offen“ auf „Geschlossen“ dreht. In einer Schlüsselszene gegen Ende des Films findet sich sogar ein eklatanter Anschlussfehler. Manch einer wird im Alter eben schusselig.
 
Während einer Sequenz, die an bessere Filme des Regisseurs erinnern könnte, sehen wir die Hauptfigur wilde Mustangs zureiten. Leider sieht der Stuntman auf dem Pferd nicht mal halbwegs so aus, wie der Hauptdarsteller. Das ist auch kein Wunder, weil Stuntleute in der Regel deutlich weniger als halb so alt sind wie dieser Hauptdarsteller. Und das bringt uns zum größten Problem dieses Films. Was jetzt kommt, hat rein gar nichts mit Altersdiskriminierung zu tun. Aber es ist leider so: Clint Eastwood ist mittlerweile einfach zu alt für diese Art von Film.
 
Clint Eastwood ist über Neunzig Jahre alt. Ja, er ist toll in Form. Ja, es ist toll, wenn er noch immer vor der Kamera steht. Aber bitte nicht in diesem Film. Der Mann ist über Neunzig und will wohl einen fitten Sechzigjährigen spielen. Das funktioniert nicht. Das kann nicht funktionieren. Dreißig Jahre sind nun mal drei Jahrzehnte. Man spielt mit Ende Vierzig auch keine Teenager mehr. Würde man es versuchen, wäre es lächerlich. Oder bedenklich. Oder beides.
 
Und daher ist es lächerlich, wenn Eastwood einen Mann, der sein Enkel sein könnte, mit der Faust ins Gesicht schlägt. Mal ganz davon abgesehen, dass neunzigjährige Handwurzelknochen das nicht vertragen, bewegt Eastwood sich in jeder Szene des Films mit der Geschwindigkeit die man von jemandem erwarten darf, der näher an Hundert Jahren als an Achtzig dran ist. Und lächerlich ist es auch, wenn eine bildschöne, reiche Frau mit einem auf ihrem Sofa sitzenden Greis flirtet, während man sich fragt, wie der alte Mann denn aus diesem niedrigen Sofa wieder allein hochkommen soll. Wenn diese überaus attraktive, mehr als fünf Jahrzehnte jüngere Frau dann unbedingt Sex mit diesem Greis haben will, ist das aus vielen Gründen bedenklich.
 
Man fragt sich, was für ein Team Eastwood in seiner Produktionsfirma Malpaso um sich hat, dass keiner seiner Mitarbeiter ein Wort zu dieser Szene verlieren wollte. „Und dann kommt die Szene, in der diese unheimlich attraktive, junge Frau unbedingt Sex mit ihnen haben will? Geht klar, Chef. Und nachträglich noch alles Gute zum Neunzigsten.“. Vieles an diesem Film wirkt, als hätten die Mitwirkenden vor und vor allem hinter der Kamera längst aufgehört, dem Meister gelegentlich zu widersprechen. Wo Chauvinismus und Eitelkeit auf Altersstarrsinn treffen, wird das Produktionsteam wohl zum Pflegepersonal.
 
Aber Eastwoods Eitelkeit beschränkt sich nicht auf die Einbildung seiner körperlichen Überlegenheit und Anziehungskraft. Der Film frönt einem herablassenden Rassismus, wie man ihn vielleicht noch von Karl May kennt. Während Mike mit seinem Schützling einige Zeit in einem kleinen mexikanischen Dorf verbringt, muss Mike unter anderem Wildpferde zureiten, sich um verletzte und kranke Tiere kümmern und die Musikbox der Cantina reparieren, weil die mexikanische Landbevölkerung mit all dem überfordert war.
 
Die haben ja keine Ahnung von Pferden, Tierhaltung und Mechanik, diese mexikanischen Bauern. Zum Glück war der Gringo da und konnte helfen. Wie bereits erwähnt, erinnern einige wenige Szenen an frühere, bessere Filme Eastwoods. Unbekannte, aber kompetente Darsteller servieren dem Helden die Stichworte. Es gibt einzelne recht schöne Bilder zu sehen, … das war es dann auch. Für Filmfans, die mit Eastwoods älteren Filmen nicht vertraut sind, ist „Cry Macho“ ein krudes, nachlässig gemachtes Flickwerk aus Klischees, Frauenfeindlichkeit, sanftem Rassismus und einigen wenigen netten Szenen. Für alle Fans von Eastwoods Werk ist der Film eine Enttäuschung und ein sicheres Anzeichen, dass die Zeit vor niemandem Halt macht.
 
 
Fazit
 
Eastwood hätte „Cry Macho“ vor vielen Jahren oder gar nicht drehen sollen. 2021 wirkt diese Art von Film nur noch altmodisch. Dabei hilft es auch nicht, wenn der Darsteller um mehrere Jahrzehnte zu alt für die Rolle ist.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Clint Eastwood
  • Drehbuch: Nick Schenk
  • Besetzung: Clint Eastwood, Dwight Yoakam