Air: Der grosse Wurf - Kinostart: 06.04.2023

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Ben Affleck hat wieder einen Film inszeniert und darin auch eine Rolle übernommen.
 
Und auch sonst erinnert viel an seinen früheren Film „Argo“ ...
 
Money for Nothing
 
1984 steht der Sportschuhhersteller Nike kurz davor, seine Basketballabteilung zu schließen. Das noch recht kleine und junge Unternehmen hat den übermächtigen Marktführern Converse und Adidas wenig entgegenzusetzen. Vor allem junge Leute wollen einfach keine Nikes tragen. Das ohnehin geringe Marketingbudget soll auf das Sponsoring von drei oder vier passablen Nachwuchsbasketballspielern verteilt werden. Aber Talentscout Sonny Vaccaro will alles auf eine Karte setzen und für das gesamte Budget den jungen Michael Jordan verpflichten. Sonny sieht in dem jungen Sportler mehr als bloß eine Hoffnung für Nike ...
 
Ich weiß, nichts schätzen die Leser*innen von cinepreview.de an unseren Rezensionen so sehr, wie filmhistorische Exkurse in denen Bezüge zwischen dem aktuellen Film und Filmen der Vergangenheit hergestellt werden. In Mails, Kommentaren, handgeschriebenen Briefen und Ohrenbeichten versichern uns treue Leser*innen, wie unsere Berichterstattung über aktuelle Filme für sie dadurch aufgewertet und erst lesenswert wird. Erst die Vergleiche mit gerne auch obskuren Werken der Vergangenheit sind es, die Information und Aufklärung unserer Rezensionen um Spannung und Unterhaltung ergänzen.
 
So schreibt z.B. Gabi aus Bad Salzdetfurth: „Wenn im Bericht über den neuesten Marvel-Film keine Vergleiche mit längst vergessenen 80er-Jahre B-Movies oder elfminütigen Stummfilmen aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg angestellt werden, helfen weder Alkohol noch harte Drogen gegen das tiefe Gefühl der Enttäuschung und die Leere in mir.“ Und Kai aus Bottrop schreibt: „Ey, Du Opfer! Fick Dich! In deiner Rezension zu „Tár“ implizierst Du eine latent antifeministische Haltung, erwähnst aber weder „Orchesterprobe“, Fellinis arschcoole Parabel auf unsere Gesellschaft, noch „Der Dirigent“, Andrzej Wajdas affentittengeiles Kammerspiel mit meinem Bro Sir John Gielgud. Deine Mudda ist eine latent antifeministische Haltung!“
 
Ich kann sowohl Gabi als auch Kai beruhigen. Diesmal muss ich nach Bezügen zu einem anderen Film nicht lange suchen. Denn der Vergleich zu Ben Afflecks frühem Werk „Argo“ drängt sich geradezu auf. Beide Filme sind „period pieces“, deren Handlungen in einer nicht allzu weit zurückliegenden Vergangenheit spielen. Regisseur Ben Affleck ist es bei „Air“ wieder enorm wichtig, jedem aber auch wirklich jedem Zuseher während des gesamten Films immer wieder die Zeit der Handlung zu vermitteln. Wir hören das Intro zu Dire Straits „Money for Nothing“ bereits bevor wir die ersten Bilder sehen. Dieser Frühstart wirkt auf schräge Art und Weise stimmig, denn „Money for Nothing“ wurde erst 1985 veröffentlicht, während der Film 1984 spielt.
 
Es folgt eine minutenlange Montage, die uns das Jahr der Handlung vermitteln soll und die leider auch nicht frei von Anachronismen ist („Do they know it’s Christmas“ wurde erst im November 1984 aufgenommen. Der Film spielt im Frühling.). Später unterhalten sich Menschen auf der Leinwand minutenlang über ein Telefon im Auto, damit das Publikum kapiert, ein Telefon im Auto war 1984 etwas Besonderes und 1984 ist lange her. Und falls wir das noch nicht verstanden haben, spricht man eine halbe Stunde später nochmal über das Telefon im Auto.
 
Im Gespräch wird jemand „Mister Miyagi“ genannt. Das ist eine etwas ungeschickte Referenz an einen Film, der damals gerade erst angekündigt war, aber noch nicht im Kino lief. Aber Hauptsache wir haben einen populärkulturellen Bezug zu den Achtzigern. Die Kleidung der Akteure wirkt furchtbar geschmacklos, nur weil Ben Affleck Angst hat, wir könnten vergessen, zu welcher Zeit dieser Film spielt.
 
 
Affleck auch sonst kaum jemals subtil vor. Wir sehen die Hauptfigur in Las Vegas Wetten platzieren. Dabei entscheidet der Mann am Wettschalter zuerst welche Summen er setzt, bevor er darüber nachdenkt, auf welche Ergebnisse er setzen möchte. Aha, der Mann hat wohl ein Spielproblem. Nachdem er bei seinen Sportwetten gewonnen hat, setzt er den Gewinn gleich beim Würfeln ein. Ja, der Mann hat offensichtlich ein Spielproblem. Als er auch dort eine hohe Summe gewinnt, lässt er den Gewinn stehen, würfelt nochmal und verliert die ganze Summe zur großen Überraschung von niemandem, der jemals einen Film über einen Spieler gesehen hat. Später werden im Dialog nochmal die vielen Zwischenstopps in Las Vegas erwähnt und an der Stelle möchten wir Ben Affleck für seine Mühe danken und ihm aber auch versichern, er könne jetzt aufhören. Wir haben verstanden. Der Mann. Hat. Ein Spielproblem.
 
Aber Affleck arbeitet als Regisseur und Co-Autor nicht nur wenig subtil. Er arbeitet auch wenig planvoll. Denn nachdem er uns mit dem Holzhammer die Botschaft „Die Hauptfigur hat ein Spielproblem!“ eingebläut hat, ist dieses Problem nicht nur für den Rest des Films kein Problem mehr. Nachdem das Spielproblem der Hauptfigur während der ersten 20 Minuten immer wieder gezeigt und auch besprochen wurde, wird es während der restlichen 90 Minuten des Films niemals auch nur wieder erwähnt. Man kann diese merkwürdige Entscheidung vielleicht sogar nachvollziehen. Affleck will eine Erfolgsgeschichte erzählen. Und nur Verlierer haben Spielprobleme.
 
Time After Time
 
Afflecks „Argo“ war eine amerikanische Erfolgsgeschichte, die 2012 ins Kino kam, als Amerika dringend wieder eine Erfolgsgeschichte brauchte. US-Truppen hatten sich 2011 aus dem Irak zurückgezogen, nachdem man dort fast ein Jahrzehnt lang zwar keine Massenvernichtungswaffen gefunden, aber dafür die Bevölkerung radikalisiert und für eine noch breitere Kluft zwischen Schiiten und Sunniten gesorgt hatte. Der Krieg in Afghanistan dauert damals auch bereits gute zehn Jahre und sollte viel später auch kein gutes Ende nehmen. Vor allem nicht für die Bevölkerung von Afghanistan.
 
Man kann also verstehen, warum „Argo“, die Geschichte einer Finte gegen den Iran, 2012 einen Nerv vor allem bei den amerikanischen Kritikern und beim amerikanischen Publikum getroffen hat. Der Oscar für den besten Film 2013 war einer der am wenigsten verdienten Oscars aller Zeiten. In dem Jahr waren Filme wie Hanekes „Liebe“ und Tom Hoopers „Les Misérables“ nominiert. Paul Thomas Andersons „The Master“ war nicht einmal nominiert. Selbst der Bond-Film „Skyfall“ hätte sowohl Nominierung als auch Oscar in dem Jahr eher verdient.
 
Nun vielleicht wäre es zynisch, Ben Affleck und dem Studio Kalkül zu unterstellen. Aber „Air – Der große Wurf“ erzählt eine der größten Erfolgsgeschichten der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte. Und wäre es zynisch, die Situation der amerikanischen Wirtschaft 2023 mit der Lage im Nahen Osten im Jahr 2012 zu vergleichen. Immerhin gibt es für die Lage im Nahen Osten immer noch Hoffnung.
 
„Air – Der große Wurf“ erzählt noch einmal die Geschichte vom amerikanischen Traum. Die ewige Story vom Underdog, der die Ärmel hochkrempelt, sich einen Dreck um Regeln und Konventionen schert und damit Erfolg hat. Die Hauptfigur im Film übergeht eigenmächtig Bosse und Manager und setzt sein und das Schicksal der ganzen Firma aufs Spiel. Mit dem Design des Schuhs werden absichtlich die Vorschriften des Basketballverbands verletzt. Und zum großen Finale pfeift er noch auf die Präsentation der Marketingexperten und zieht einfach sein eigenes Ding durch! Experten, was wissen die schon? Regeln sind für Pussies. Ein echter Mann hört auf sein Bauchgefühl und prescht vor! Ein echter Amerikaner weiß einfach, was richtig ist!
 
Und dieser Mann, der einfach weiß, was richtig und was falsch ist, ist natürlich nicht einfach nur Amerikaner. Er ist weiß, in den Fünfzigern und hat Übergewicht. „Argo“ wurde damals außerhalb der USA absolut zu recht für seine Geschichtsfälschung kritisiert. Wie die echten Helden der in „Argo“ beschriebenen Rettungsaktion damals die Kanadier waren und nicht die Amerikaner, haben wir nun mit „Air – Der große Wurf“ einen Film, in dessen Mittelpunkt einer der erfolgreichsten schwarzen Sportler aller Zeiten stehen sollte. Michael Jordan wird im Film allerdings nur von hinten gezeigt.
 
Uns ist natürlich klar: ebenso wie die amerikanische Wirtschaft hatte auch der weiße, mittelalte, übergewichtige, amerikanische Mann ganz allgemein schon lange keine Erfolgsgeschichte mehr. Aber deshalb im Jahr 2023 einen der erfolgreichsten schwarzen Sportler aller Zeiten zum Statisten in dieser Geschichte zu machen, ist eine obskure Entscheidung. Das Motto des Films könnte auch lauten: „White Stories Matter!“.
 
Bereits „Argo“ hatte eine großartige Besetzung, angeführt von Bryan Cranston, John Goodman und Alan Arkin. In „Air – Der große Wurf“ macht Matt Damon das Beste aus einer Rolle, die eine Ansammlung von Klischees ist. Damon hat in den letzten Jahren einige schwache Leistungen in Filmen wie „Elysium“ oder „The Great Wall“ gezeigt. Er hat aber immer wieder entweder in kleinen Filmen, wie „Liberace“, oder kleinen Rollen, wie in „Interstellar“ gezeigt, was er kann. Hier schafft er es, uns mit einer Figur mitfiebern zu lassen, die vom Drehbuchautor nur grob skizziert wurde.
 
Der Rest der Besetzung muss Rollenfragmente darstellen. Denn als „Figuren“ oder gar „Charaktere“ kann man das, was Affleck nach einem Drehbuch von Erstlingsautor Alex Convery auf der Leinwand zeigt, nicht bezeichnen. Jason Bateman („Juno“) spielt Matt Damons Vorgesetzten farblos aber sympathisch. Christ Tucker („Rush Hour“) spielt jemanden, der vielleicht wohl ein weiterer Vorgesetzter aber vielleicht auch nur ein Kollege der Hauptfigur ist, angenehm zurückgenommen. Marlon Wayans („G.I. Joe“) macht das Beste aus einem Auftritt als Stichwortgeber.
 
Chris Messina („Argo“) spielt einen Unsympathen. Affleck selbst spielt den Firmengründer Phil Knight unentschlossener und ungeschickter als dieser je agiert haben kann. Und wie schon in „Argo“ trägt Affleck wieder einen Bart, der ihn auch nicht überzeugender wirken lässt. Irgendwo im Film sehen wir dann sogar kurz die große Barbara Sukowa als Witwe von Adi Dassler. Aber kaum hat man sie erkannt, ist sie auch wieder weg, ohne den Film bereichert zu haben.
 
Matthew Mahers („Lady Bird“) Darstellung des Schuhdesigners Peter Moore bereichert den Film. Mahers bringt eine berührende Menschlichkeit in eine Rolle ein, die ein anderer Darsteller vielleicht als Klischee eines Sonderlings dargestellt hätte.
 
Die meisten von uns kennen Viola Davis als Amanda Waller aus verschiedenen DC-Comic-Verfilmungen. Aber Davis hat einen Oscar für ihre Leistung in dem Drama „Fences“ verliehen bekommen und würde einen weiteren für ihre Darstellung in „Air – Der große Wurf“ verdienen. Ihre intelligente und warmherzige Darstellung von Michael Jordans Mutter bewahrt den Film davor, bloß die schwer verdauliche Erfolgsgeschichte weißer, übergewichtiger Männer in mittleren Jahren zu bleiben. Ein besserer Regisseur hätte ihre Seite der Geschichte um zusätzliche Szenen erweitert und den Film damit aufgewertet.
 
 
Fazit
 
Wie bereits bei „Argo“, erzählt Ben Affleck eine lächerlich revisionistische Erfolgsgeschichte für das amerikanische Publikum. Das macht er auch wieder nicht schlecht. Für uns Europäer bietet der Film zwei sehr gute und jede Menge solide schauspielerische Leistungen. Sonst bietet der Film nicht viel.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor:in: Walter Hummer
  • Regie: Ben Affleck
  • Drehbuch: Alex Convery
  • Besetzung: Matt Damon, Viola Davis